Böhmfeld und die Lokale Agenda 21

bund_k.gif (1382 Byte) Hubert Weinzierl
Landesvorsitzender des Bund Naturschutz
besucht Böhmfeld
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Redemanuskript von Hubert Weinzierl anläßlich seines Besuches in Böhmfeld am 07.05.99 im Rahmen der Veranstaltungsreihe:

"Woche für das Leben - Unsere Verantwortung für die Schöpfung"

 
Inhalt:
1. Nachhaltigkeit erfordert Veränderungsfähigkeit
2. Verbessertes umweltpolitisches Klima
3. Ökologische Steuerreform - Erfolg des "langen Atems"
4. Einstieg in die neue Energiepolitik
5. Deutschland ist erschlossen
6. Regionales Denken erfordert Einmischung in Europa
7. Agrarpolitik nach den halbherzigen AGENDA 2000 - Beschlüssen
8. Chancen für eigenständig-bayerische Naturschutzpolitik nutzen
9. Naturschutz - Offensive
10. Leitbild Wildnis
11. Nachhaltigkeit erfordert Veränderungsfähigkeit (2)

1. Nachhaltigkeit erfordert Veränderungsfähigkeit

Wir erleben in diesen Tagen an der Wende zum 21. Jahrhundert die größte industrielle Revolution der Menschheitsgeschichte: Computer- und Verkehrstechniken, neue Medien und Informationssysteme haben die gemeinsame Erde zum jederzeit erreichbaren Standort und die Güter des Planeten zur Verfügungsmasse der global Players werden lassen. Die Menschen werden mehr, die Ressourcen weniger, die Arbeitslosigkeit steigt.

Sieben Jahre nach der Euphorie des Erdgipfels von Rio sieht es also eher düster aus und von den damals gemachten Zusagen und von den eingegangenen Konventionen ist nicht mehr die Rede. Von den seinerzeit geplanten 600 Milliarden Dollar, welche die Weltfamilie zur Zukunftsvorsorge aufbringen wollte ist gerade einmal eine Milliarde Dollar genossen; 125 Milliarden Dollar wollten die Industrieländer in sogenannte Entwicklungsländer leiten - aber kein Dollar, so recherchierte das Worldwatch-Institute gerade, wurde ausbezahlt.

Am Frühlingsanfang, dem 21. März 1999 bringt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) die Lage der Umwelt auf den Punkt:

..... Zu Ende des Jahrtausends, so scheint es, ist uns die Natur auf fahrlässige Weise abhanden gekommen. Wer hat heute noch Angst vor der globalen Erwärmung, dem Ozonloch, so groß wie Eurasien und den ewig schmelzenden Polkappen? Je sicherer die Klimakatastrophe kommt, um so geringer werden die Bedenken .....

..... Entsprechend ratlos sitzen sie heute da, die verunsicherten grünen Zeitgenossen in Erfurt und anderswo. Hatten sie nicht einst in Kalkar und Bonn "We shall overcome" gesungen, im Einklang mit allen Gutwilligen? Hatten sie nicht dort ihr großes ewiges Bündnis verabredet, gezeugt in der Marschen von Brockdorf und Gorleben, gehärtet unter Polizeiknüppeln und Wasserwerfern? Und jetzt diese Orientierungslosigkeit, diese Leere ...

..... Die Grünen haben ihr Thema verloren. Die Umweltpolitik klassischer Fundierung ist out. Die ökologische Sprachlosigkeit der ehemaligen Herren über Grenzwerte, Wasser-, Wind- und Solarenergie, Treibgas-Verbote, Tempolimit und autofreie Innenstädte ist eine Folge des Angstverlusts. Orientierungslos schlingern die Entrüstungspessimisten von einst durch die Fahrwasser der Wirtschafts- und Energiepolitik.....

Vor solchem Hintergrund ist auch die nationale Umweltpolitik in Deutschland einzuordnen, deren Stellenwert unter keinem guten Stern steht und durch die gewaltigen Ereignisse des Jugoslawien-Krieges noch mehr in den Hintergrund gedrängt wurde: Wer kümmert sich um die Mitgeschöpflichkeit , wo es um Menschenleben und Menschensterben geht.

Krieg unter Menschen ist immer auch Krieg gegen die Schöpfung, weil verständlicherweise jede Rücksichtnahme auf die Lebensgrundlagen eines Landes vom nackten Überlebenskampf verdrängt wird. So wächst auch die Gefahr, daß durch Luftangriffe auf Chemiefabriken zusätzliche ökologische Katastrophen ausgelöst werden. Die zerstörten Donaubrücken blockieren bereits die Schiffahrt und führen uns die Anfälligkeit unserer Systeme vor Augen.

Ich spüre eine tiefe Zerrissenheit:

Auf der einen Seite der Wahnsinn einer blindwütigen Diktatur, die nicht akzeptiert werden kann, auf der anderen Seite sinnloses Zerstören. Es gibt wohl keinen Königsweg aus diesem Dilemma.

Bleibt nur der Ausweg des Verhandelns; denn Bomben lösen keine Probleme, sie reißen nur noch tiefere Wunden.

Zeigt nicht gerade der alles verachtende Krieg wie sehr Naturschutz auch Pazifismus und Friedenspolitik beinhaltet, weil friedfertige Menschen eben weniger kaputtmachen.

Und hat dieser Krieg nicht auch die Brüchigkeit des Hauses Europa erneut vor Augen geführt und auch die Erkenntnis, daß die Erhaltung regionaler Strukturen und Heimat in ihrer natürlichen Gesamtheit zu den unveräußerbaren Menschenrechten zählen...

Wie sehr solche Entwicklungen gerade Politiker belasten die unserem Denken nahestehen, können wir nachfühlen. Um so dringlicher wird aber die Forderung, daß der Einsatz für alles Leben unteilbar ist. 

2. Verbessertes umweltpolitisches Klima

Das umweltpolitische Klima in Deutschland hat sich zweifellos seit Ende 1998 verändert, es ist ein neues Denken auf den Weg gebracht worden, an dem die deutsche Umweltbewegung - und voran der Bund Naturschutz mit seinen mittlerweile 168 000 Mitgliedern - einen gewichtigen Anteil hat.

Wir dürfen stolz sein auf diesen Erfolg, aber zugleich ist er Anlaß, unsere Rolle neu zu überdenken: Mit Augenmaß und Geduld, aber unbeirrbar an den Naturgesetzen orientiert müssen wir auch gegenüber der neuen Bundesregierung unser Wächteramt ausüben. Gleichzeitig werden wir aber in Zukunft mehr als bisher Lobby für eine ökosoziale Politik sein und dafür um Akzeptanz in der Gesellschaft werben, damit die Saat aufgeht, die wir gelegt haben.

Diese neue politische Situation beinhaltet Chancen und Risiken gleichermaßen. Denn zum einen ist die Aussicht darauf, daß es tatsächlich zu einer Denkwende kommt, die zu einer sozialeren Gesellschaft und zur Ökologisierung der Politik führt, größer als früher. Andererseits birgt die derzeitige Regierung aber auch das Risiko einer noch immer übermächtigen Betonfraktion innerhalb des großen Koalitionspartners. Bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes beispielsweise wird uns dies aktuell vorgeführt.

Das heißt also, daß wir in Zukunft als "grünes Gewissen" gnadenlos die Diskrepanz zwischen Wahlversprechen, Parteiprogrammen und politischer Wirklichkeit einfordern werden und wieder verstärkt die Rolle der außerparlamentarischen Opposition einnehmen, mit der wir ja historisch gesehen reichlich Erfahrung haben.

Die ersten Monate dieser neuen rot/grünen Koalition haben unsere Hoffnungen mächtig gedämpft und unsere Erwartungen zutiefst enttäuscht. Das reicht vom Einknicken des Bundeskanzlers gegenüber der Atomindustrie bis hin zur Aufrechterhaltung fast aller naturzerstörenden Verkehrsprojekte durch ein

paar Unbelehrbare innerhalb der SPD und der Fortführung einer Agrarpolitik der Großstrukturen, werden die Identität des ländlichen Raumes in Frage stellen .

So haben wir uns Zukunftspolitik nicht vorgestellt, wir haben keine neuen Politiker, sondern eine neue Politik gewählt und wir sollten jede einzelne Abgeordnete und jeden einzelnen Abgeordneten für das verantwortlich machen, was sie vor den Wahlen verkündet haben. Wir sind dabei keine Neinsager und wissen, daß große Veränderungen ihre Zeit brauchen, aber wir gehen dort unbeirrbar auf Konfrontation, wo anstatt der versprochenen Veränderungen faule Kompromisse gemacht werden.

3. Ökologische Steuerreform - Erfolg des "langen Atems"

Dabei gestehen wir der neuen Regierung zu, daß sie unter schwierigsten Voraussetzungen gestartet ist; immerhin hat sie wenigstens die so unpopuläre ökologische Steuerreform, wenngleich halbherzig, so doch wenigstens auf den richtigen Weg gebracht und wir können jetzt nur auf einen wirkungsvollen Erhöhungspfad in den nächsten Jahren setzen, Gerade bei der Ökosteuer zeigt sich einmal mehr, wie sehr sich der "lange Atem der Naturschützer" auszahlt: Gerade 25 Jahre ist es her seitdem der Bund Naturschutz dazu seine erste Fachtagung abgehalten und erstmals die Senkung der Lohnnebenkosten zu Lasten der Energieverteuerung gefordert hat getreu dem Motto "was selten wird und wertvoll ist verteuern, was es im Überfluß gibt verbilligen".

 

Der Erfolg mit der ökologischen Steuerreform ist nicht das einzige Beispiel für den langen Atem der Naturschützer und die politische Keimruhe neuer Ideen, die nun einmal eine Menschengeneration lang dauert:

  • Vor dreißig Jahren begann die Diskussion um den Eigenwert der Natur, erst 1998 ist im neuen bayerischen Naturschutzgesetz festgeschrieben worden, daß Tiere und Pflanzen, daß die Schöpfung einen "Wert an sich" besitzen. Interessant wird sein, wie die Gerichte künftig mit dieser Eigenwert-Bestimmung umgehen.
  • Vierzig Jahre hat es gedauert bis die Ideen von einem "Netzwerk des Lebens" in einer weltweiten Biodiversitätskonvention oder im europäischen Netzwerk Natura 2000 oder in einer bayerischen Biotopverbund-Regelung festgeschrieben wurden.
  • Und manches Inschutznahme-Verfahren von Naturschutzgebieten hat ebenso lang gedauert; ich erinnere an das Ilztal.

Was sind schon so ein paar Jahrzehnte, mag man fragen. Angesichts von Naturabläufen nur Atemzüge der Zeit. Schade nur, daß dazwischen soviel Leben kaputtgeganen ist.

 
4. Einstieg in die neue Energiepolitik

Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, aus der Atomindustrie auszusteigen. Dabei galt zwischen der deutschen Umweltbewegung und den derzeitigen Koalitionspartnern die unverzichtbare Maxime eines sofortigen Atomausstiegs. Was Bundeskanzler Gerhard Schröder aus dem Koalitionsvertrag gemacht hat, ist nicht nur ein Kniefall vor der Atomindustrie, sondern darüber hinaus beängstigend, denn es stellt sich die Frage wer denn dieses Land eigentlich regiert? Die Wiedereinsetzung der Politik ist also überfällig.

Wenn der Bundeskanzler glaubt, uns jetzt mit jederzeit revidierbaren lauwarmen Kompromissen abspeisen zu können, so wird er ein breites Bündnis, eine Energieallianz gegen sich haben, die von Gewerkschaften, Unternehmen, Kommunen, Kirchen, bis zu den Umweltverbänden reicht. Wir raten ihm auch davon ab, einseitig Konsensgespräche mit der interessierten Wirtschaftslobby zu führen, sondern auch den Konsens in der Gesellschaft zu suchen und dann eben insbesondere die Umweltbewegung, mit deren Stimmen er mitgewählt wurde, in diese Meinungsbildung einzubinden und zwar nicht im Sinne des kleinsten gemeinsamen Kompromisses, sondern im Sinne von ehrlichen Ausstiegsgesprächen. Der Kanzler hat uns gerade zu einem Gespräch eingeladen, bei dem die Deutschen Umweltverbände gemeinsam ihre Vorstellungen von einer zukunftsfähigen Energiepolitik artikulieren wollen. Die wichtigsten Eckpunkte sind folgende:

Die Umweltverbände halten einen unverzüglichen Ausstieg aus der Nutzung der gefährlichen Atomenergie für unverzichtbar.

Als kurzfristige und unaufschiebbare Maßnahmen sind dringend erforderlich:

  1. Ein sofortiges Verbot der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente in La Hague, Sellafield und Dounreay. Es ist mittlerweile nachgewiesen, daß ein entsprechendes gesetzliches Verbot keine Entschädigungszahlungen nach sich ziehen würde. Ein Verbot ist erforderlich, da es sich bei der Wiederaufbereitung nicht Um eine vom Gesetz vorgeschriebene "schadlose Verwertung" handelt. Bei der Wiederaufbereitung fällt das höchst gefährliche Plutonium an. Außerdem kommt es zur radioaktiven Umgebungs- und Meereskontamination. Die Bundesregierung akzeptiert damit einen illegalen Zustand.
  2. Ein Moratorium für weitere Atomtransporte.
  3. Nach dem Stopp von Morsleben sind auch die Projekte Schacht Konrad und Gorleben zu beenden und damit die ausstehende 3. Teilerrichtungsgenehmigung für die Pilot-Konditionierungsanlage Gorleben zu versagen.
  4. Alle zusätzlichen geplanten Erweiterungen oder Neubauten von Atomanlagen, wie z.B. Garching, sind zu stoppen.

Diese Maßnahmen sind unverzüglich, zeitnah und praktisch umzusetzen. Nur so kann seitens der Bundesregierung bereits verspieltes Vertrauen wiedergewonnen werden.

Die Umweltverbände fordern den Einstieg in eine neue Energiepolitik mit folgenden Maßnahmen als Sofortprogramm:

  1. Das Energiewirtschaftsgesetz muß so überarbeitet werden, daß ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Netzen möglich ist. Dazu bedarf es einer Netzzungangsverordnung. Freiwillige Verbändevereinbarungen sind kein adäquates Mittel. Der Netzbetrieb muß klarer und eindeutiger von den Erzeugern getrennt werden. Für Strom aus erneuerbaren Energien und aus KWK-Anlagen muß eine Vorrangregelung eingeführt werden.
  2. Zur Aktivierung von Einsparpotential im Strom- und Wärmebereich sind verbindliche Verbraucherbegrenzungen und eine Energiespar-Verordnung mit wirksamen Regelungen zur energetischen Sanierung des Altbaubestandes zu erlassen.
  3. Die Ökosteuer muß langfristig, stetig und mit wirksamen Steigerungssätzen ausgestattet werden, so daß sie ihren beabsichtigten Lenkungseffekt für Energieeinsparungen auch tatsächlich entfalten kann. Nur auf diese Weise ist eine Planungssicherheit für Wirtschaft und Gesellschaft möglich.
  4. Für Neuinvestitionen bei Kraftwerken muß aus Gründen des Klimaschutzes dem Brennstoff Gas Vorrang vor allen anderen fossilen Brennstoffen eingeräumt werden. Alle direkten und indirekten Fördermaßnahmen von Steinkohle und Braunkohle sind zügig abzubauen.
  5. Die erneuerbaren Energien müssen bis zu ihrer Marktdurchdringung gezielt gefördert werden.
  6. Die derzeitige zentrale Energiestruktur muß in eine dezentrale Struktur umgebaut werden.

Ich hoffe, daß wir im zehnten Jahr nach Wackersdorf aus diesem zentralen Konfliktfall der deutschen Umweltgeschichte drei Erkenntnisse gezogen haben: Einmal, daß es beim Natur- und Lebensschutz des ganz langen Atems bedarf um etwas durchzusetzen, zum anderen, daß auch die Wirtschaft nicht gegen die Bevölkerung investieren und diktieren kann und zum dritten, daß die Atomenergie auf Dauer weder sozialverträglich noch zukunftsfähig ist. Vielleicht hat die Politik aus Wackersdorf gelernt, wie jämmerlich sie vor der Gesellschaft dasteht, wenn sie das Gesetz des Handelns allein wirtschaftlichen Interessensgruppen an die Hand gibt und sich zu lächerlichen Marionetten des Kapitals degradieren läßt - eine Erkenntnis, die angesichts weltweiter Wirtschaftsmachtballung und der Globalisierung an der Schwelle zum dritten Jahrtausend von höchster Brisanz ist: Ob die vierhundert Milliardäre die Zukunft der Menschen bestimmen oder die gewählten Volksvertreter, auf welche sechs Milliarden Menschen ihre Hoffnung setzen.

5. Deutschland ist erschlossen

Deutschland ist erschlossen, deshalb ist eine Verkehrswende für ein zukunftsfähiges Deutschland überfällig. Dies erfordert einen deutlichen Bruch mit der bisher betriebenen Verkehrspolitik. Gesundheitsbeeinträchtigung, Umweltzerstörung und Infrastrukturüberlastung zeigen unstreitig Grenzen für ein weiteres Verkehrswachstum auf. Auch die gesetzten C02-Minderungsziele sind ohne eine entscheidende Trendwende im Verkehrssektor nicht zu erreichen.

Der Bundesverkehrswegeplan muß vor diesem Hintergrund gründlich, grundsätzlich und zügig überarbeitet werden. Um den erforderlichen vollständigen Neubeginn zu dokumentieren, sollte die Planung künftig zu einem Bundesverkehrsprogramm aufgewertet werden, das weit über die klassische Infrastruktur hinausgeht. In diesem müssen alle Verkehrsträger berücksichtigt (insbesondere auch der Luftverkehr), die unhaltbare Trennung von Fern- und Nahverkehr im bisherigen Bundesverkehrswegeplan aufgegeben und die Möglichkeit einer konsequenten Raumordnungs- und Siedlungspolitik einbezogen werden. Die Erarbeitung des Bundesverkehrsprogrammes erfordert ein neues konzeptionelles Vorgehen, welches das bisherige Denken und Planen in Einzelprojekten durch eine verkehrsträgerübergreifende und netzbezogene Betrachtungsweise ersetzt.

Leider sind auch im Verkehrsbereich die politischen Signale der neuen Regierung fürchterlich: Anstatt wie vereinbart alle Projekte auf den ökologischen und ökonomischen Prüfstand zu stellen, sind im laufenden Bundeshaushalt Mehrausgaben für den Straßenbau von 100 Millionen DM auf 8,7 Mrd. DM vorgesehen, während die Investitionen bei der Schiene auf dem Stand von 6,4 Mrd. DM eingefroren sind.

Die Ausrede einiger Verkehrspolitiker, daß die Investitionsvorgaben noch von der alten Regierung herrühren und damit 90% der Verkehrsprojekte festgeschrieben seien, ist unerträglich und signalisiert eine fatale "weiter-so-Politik", die korrigiert werden muß, denn schließlich haben die Wählerinnen und Wähler dafür kein neues Regierungsbündnis gewählt.

6. Regionales Denken erfordert Einmischung in Europa

 Das bedeutet Einmischung auf Landes- und Bundesebene, wobei es zu einer neuen Qualität der Arbeit des BN gehört, daß wir in diesen Tagen immer mehr das direkte Gespräch in Bonn, Berlin oder Brüssel suchen um unsere Anliegen gleich direkt und ohne Umwege an den zuständigen Stellen zu verhandeln. In diesem Sinne hat der Landesvorstand des BN auch im Haushalt einen Schwerpunkt zur Verstärkung unserer Europa-Arbeit gesetzt. Wir sollten als Bund Naturschutz bald möglich in Brüssel unsere eigene Stimme als regionale Vertretung bayerischer Natur-Interessen etablieren, genauso wie dies der Freistaat mit seiner Vertretung gemacht hat. Die Zeit für neues Denken ist reif, wir sind diesen Schritt unserer Vordenkerrolle in der Umweltbewegung schuldig.

Und auf nationaler Ebene plädiere ich dafür, daß sich die deutschen Umweltverbände, die im Deutschen Naturschutzring zusammengeschlossen sind, an der Zeitenwende mit den Entwicklungsorganisationen verbünden im Geiste von Rio, im Geiste der Nachhaltigkeit und angesichts des Nord/Südgefälles. Laßt uns angesichts der einen Erde endlich die Kleinkariertheit des Denkens und die oft bequemere Kirchturmpolitik überwinden.

7. Agrarpolitik nach den halbherzigen AGENDA 2000 - Beschlüssen

 Die Bewertung der deutschen Bundesregierung, die Agenda 2000-Beschlüsse seien ein "gelungener Kompromiß für eine Agrar-Struktur-Reform" ist natürlich falsch und bedeutet in Wahrheit die Verzögerung des Konkurses einiger zehntausend bäuerlicher Familienbetriebe. Weder am grundsätzlich falschen Agrarkonzept des "Wachsens oder Weichens" wurde etwas geändert, noch wurden Reformen oder gar Sparmaßnahmen eingeleitet, allenfalls ist von Verzögerung und Verschiebung die Rede.

Dennoch ist aber auch das Lamento der konservativen Opposition über das Sterben von einem weiteren Drittel der 170.000 bayerischer Bauernhofe ebenso unredlich wie die Rücktrittsaufforderungen an die derzeit in Bonn Verantwortlichen. Denn die AGENDA 2000 ist ja nicht jetzt erst vom Himmel gefallen, sondern der logische Schlußpunkt einer Politik der Großstrukturen, die seit zwei Jahrzehnten von Regierungen und Bauernverbänden Europas sehenden Auges mit getragen und mitverschuldet wurde.

Da kann auch das jüngste Hirtenwort der Bischöfe zur traurigen Lage der bäuerlichen Bevölkerung allenfalls als Nachruf gewertet werden.

Tatsache ist, daß nach dem "Weiter-so" in der EU-Agrarpolitik die Gefahr gewachsen ist, daß immer mehr kleine und mittlere Bauernhöfe durch das Netz der Rationalisierung fallen und die Großen dadurch profitieren.

Worauf es jetzt ankommt:

Daß auf nationaler und auf regionaler, zum Beispiel auf bayerischer Ebene alle Spielräume und positiven Ansätze der AGENDA 2000 zugunsten bäuerlicher Strukturen, regionaler Vermarktung und ökologischer Landnutzung ausgereizt werden.

Die dramatische Wegstrecke, in der eine fundamentale Weichenstellung für die Landwirtschaft, für die Landschaft und für den ländlichen Raum in Europa erfolgt, sollten Naturschützer und Bauern gemeinsam gehen. Denn es ist wahrscheinlich die letzte ganz große Weichenstellung für herkömmliche bäuerliche Landwirtschaft.

Bauernhöfe stehen also ebenso wie Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste. Grund genug nach dem Motto "retten was zu retten ist" um Korrekturen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene zu ringen.

Dabei möchte ich angesichts der Notlage, welche Naturschützer und Landwirte in diesen Tagen gleichermaßen zu spüren bekommen, dafür werben, daß gerade in einer Region wie Bayern, wo es um die Identität ländlicher Räume - oder Heimat - geht, die großen Linien miteinander gefunden und vertreten werden.

Die deutsche Umweltbewegung bekennt sich zur bäuerlichen Landwirtschaft und bietet sich als Partner an, eine Partnerschaft die sinnvoller ist als die Pflege überholter Feindbilder.

Das Grundprinzip der Agenda 2000 und der derzeitigen Agrarpolitik ist falsch, weil an industrieller Produktion Maß genommen wird, wo nicht an industrieller Produktion Maß genommen werden darf, nämlich bei der Natur. Die Landwirtschaft beschäftigt sich eben mit Lebensvorgängen und nicht; mit der Herstellung toter Güter, daher kann nicht der Weltmarkt mit seinen völlig ungleichen Produktionsbedingungen die Leitlinie zukunftsfähiger Landwirtschaft sein, sondern der Wochenmarkt, also die Region mit all ihren Vorzügen, insbesondere bei der Vermeidung sinnloser Mobilität von Agrarprodukten.

Deshalb ist die Gesellschaft auch bereit, bäuerliche Landwirtschaft durch Ausgleichszahlungen zu honorieren; sofern sie - und diese Forderung ist legitim - dafür im Gegenzug ökologische Leistungen erbringt und gesunde Nahrungsmittel produziert.

Kein Wunder, daß vor diesem Hintergrund der biologische Landbau für uns einen Königsweg darstellt. Darüber hinaus sollten Ausgleichszahlungen künftig aber auch an soziale Parameter gebunden werden. Es darf doch wohl nicht sein, daß 80 % der Fördermittel bei nur 20 % der Betriebe also bei den Großen ankommen, während die kleineren Betriebe unter die Räder kommen.

Hier ist die Umkehr der Verhältnisse gefordert und es ist jetzt die Aufgabe regionaler Agrarpolitik und der Naturschutzpolitik, um jeden Bauernhof und jeden Arbeitsplatz in der Landwirtschaft zu kämpfen. Die Ausweitung des Vertragsnaturschutzes und der verschiedenen Kulturlandschaftsprogramme und deren nachhaltige finanzielle Sicherung muß so lange erhalten bleiben, bis unsere Vision Wirklichkeit wird, daß eines Tages flächendeckend nachhaltig produziert wird und die Landwirte dafür einen kostendeckenden Preis bekommen, der dem Wert von Lebensmitteln im wahren Sinne des Wortes - entspricht. Es darf doch nicht sein, daß eine Gesellschaft für das Auto mehr ausgibt als für die Nahrungsmittel.

Hierüber eine Wertediskussion anzustoßen ist Grundvoraussetzung dafür, daß die Identität der so viel beschworenen "bayerischen Heimat" erhalten bleibt.

Perspektiven hierfür bietet die zweite Säule der AGENDA 2000, nämlich die Politik für den ländlichen Raum mit dem Ziel der Diversifizierung in landwirtschaftsnahen Tätigkeitsfeldern und zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten etwa in der Verarbeitung, in der regionalen Vermarktung, im Handwerk, im Naturschutz, in der regenerativen Energieversorgung oder im sanften Tourismus.

Neue Verbündete erwarten wir dabei von der Verbraucherseite, welche von der Agrarindustrie dreifach betroffen ist:

  • sie müssen eine Qualitätsverschlechterung der Lebensmittel in Kauf nehmen, denn Gentechnik und Massentierhaltung werden als Rationalisierungstechnik beim Zwang zur Billigstproduktion eingesetzt werden
  • sie müssen einen Verlust von Erholungslandschaft hinnehmen, denn Mais-Monokulturen sind keine attraktive Umgebung, in der sich Menschen wohlfühlen
  • und sie müssen mit der Belastung des Trinkwassers rechnen dort wo der Agrarchemieeinsatz hoch ist und die Böden besonders durchlässig sind

Die eigentlichen Profiteure dieses neuen Systems sind das Agrarbusiness und die Lebensmittelindustrie sowie die Agrarmultis. Die Lebensmittelmultis profitieren von einem künstlich niedrigen Weltmarktpreis, zu dem umwelt- und sozialverträglich keine gesunden Lebensmittel erzeugt werden können. Sie erhöhen ihre Gewinnspanne auf Kosten von Landwirten und Umwelt. Aufgabe der nationalen und regionalen Regierungen ist es jetzt auch soziale und ökologische Standards vorzusehen. Es müssen künftig die gewährten Ausgleichsprämien an ökologische Leistungen gebunden werden. Die Entscheidung, wie diese ökologischen Leistungen ausgestaltet werden, liegen jedoch im Gestaltungsspielraum der einzelnen Länder, welche die Chance nützen sollten.

Gefordert ist also eine klare Trendwende in der Agrarpolitik, die eine Perspektive für die bäuerlichen Betriebe bietet und den Belangen der Umwelt dient. Eine Abkehr von 7v~leltmarktonentierung und industrieller Massenproduktion ist dazu erforderlich. Nur durch die Regionalisierung lassen sich diejenigen Betriebe und Bauern auffangen, die sonst durch das Netz der Globalisierung und Großstrukturen fallen.

Wir werden die Agenda-Diskussion in diesem Sinne weiterhin kritisch begleiten, auf die Ausgestaltung der Agrarumweltprogramme Einfluß nehmen und darauf drängen, deren finanzielle Ausstattung zu verbessern. Schon jetzt bietet der ökologische Landbau und der Aufbau regionaler Märkte eine Perspektive für die Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe. Verbunden ist sie allerdings mit einem höheren zeitlichen Aufwand für die Vermarktung, doch kann gerade auch die gemeinschaftliche Vermarktung Zeit und Kosten einsparen und neue Solidarität zwischen Bauern, Verbraucherinnen und Umweltschützern stärken.

Wir alle als Verbraucherinnen und Verbraucher sind aufgerufen, mehr als bisher die schmackhaften und gesunden Lebensmittel aus ökologischen Landbau zu genießen und Naturschutz mit dem Einkaufskorb zu betreiben.

8. Chancen für eigenständig-bayerische Naturschutzpolitik nutzen

Völlig unerträglich ist das einer Torschlußpanik eher vergleichbare Verhalten des bayerischen Umweltministers W. Schnappauf, der sich seit seinem Amtsantritt damit negativ profiliert hat, daß er sich vor jedes zerstörerische Großprojekt der Verkehrspolitik stellt (und als glühender Atombefürworter outet). Die von ihm auf den Weg gebrachte Sonderfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms macht dies zum Landeszerstörungsprogramm und fordert uns zur Verteidigung der letzten Herzstücke bayerischer Heimat heraus. Ist diese Frontenstellung nicht absurd, müßte man von einem Naturschutzminister nicht Klügeres erwarten?

Die Schizophrenie bayerischer Umweltpolitik läßt sich an zwei Zitaten verdeutlichen: Am 22. Februar 99 beschließt der Ministerrat: "Die Bayerische Staatsregierung schöpft alle politischen und rechtlichen Mittel aus und stellt sich damit auf die "Hinterfüße", um die für Bayern wichtigen Infrastrukturprojekte vor dem Zugriff der rot-grünen Bundesregierung zu schützen. Aus diesem Grund hat der Bayerische Ministerrat eine Sonderfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms Bayern (LEP) beschlossen, in der erstmals Projektziele festgeschrieben werden. Die wichtigsten Schienen- und Straßenprojekte werden als Ziele der bayerischen Landesentwicklung verankert."

Sodann folgt die Liste der für den bayerischen Umweltminister unverzichtbaren Autobahnen - und ICE-Trassen, deren Leidensgeschichten mit dem Herzblut bayerischer Naturschützer getränkt sind.

Am 24. März 99 verkündet derselbe Minister weltmännisch am Ende der Umweltminister-Konferenz eine Bamberger Erklärung, in der es unter anderem heißt:

...Wir fordern die Aufnahme von nachhaltiger Entwicklung und Schutz der Umwelt als Ziele in die Charta der Vereinten Nationen. Damit wird an der Schwelle zum 21. Jahrhundert weltweit den Erfordernissen des Umweltschutzes besonderer Nachdruck verliehen...

...Wir begrüßen die angekündigte Initiative des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, mit der Wirtschaft einen globalen Pakt über gemeinsame Werte und Grundsätze im Bereich Umwelt, der Menschenrechte und des Arbeitslebens abzuschließen. Eine Vermittlung entsprechender Werte und Grundsätze durch beispielhaftes Verhalten ist ebenso wichtig wie ein verbindlicher Rechtsrahmen und dessen Vollzug...

Wäre es nicht besser, im eigenen Lande Vorbild zu geben und endlich den unerträglichen Flächenfraß in Bayern zu beenden, der in Goldgräbermanier mit Verkehrstrassen, Gewerbegebieten, Freizeitparks und Siedlungsgebieten das Land wie nie zuvor unter Ausnutzung gelockerter Baurechte und vernachläßigter Umweltverträglichkeitsprüfungen verhunzt?

Wäre es nicht klüger, anstelle sich gegenüber der Bonner Regierung in den Schmollwinkel zurückzuziehen, besser den Gestaltungsfreiraum in der neuen politischen Situation zu nützen und Bayern in der Umweltpolitik wieder nach vom zu bringen,

  • um endlich das bayerische Naturschutzgesetz mit einem Klagerecht der Naturschutzverbände auszustatten;
  • um den Ausstieg aus der Atomkraft für die Forderung des Handwerks im Bereich regenerativer Energien zu nutzen;
  • um die ökologische Steuerreform gemäß CSU-Programm nun auch in Europa hoffähig zu machen;
  • um in der Verkehrspolitik die Defizite der Schiene auszugleichen;
  • um regionale bayerische Identität zu fördern;
  • um die freifließende Donau endgültig zu erhalten und die Schiffahrt mit sanften Methoden zu verbessern;
  • um dem Forschungsreaktor in Garching seinen Bedrohungscharakter zu nehmen.

Die Beispiele sind beliebig zu ergänzen.

Schließlich wurde 1998 das neue Bayerische Naturschutzgesetz beschlossen mit dessen Vollzug sich der neue bayerische Umweltminister profilieren könnte, denn immerhin ist darin der Schutz der Flußauen, die Verwirklichung eines Biotopverbund-Netzwerkes, die Bergwaldsanierung und die Umweltbildung besonders herausgehoben. Ministerpräsident Edmund Stoiber kann jetzt beweisen, daß die von ihm immer wieder zitierte Verantwortung für die Schöpfung und die Nachgeborenen politische Wirklichkeit wird. Denn die Nachwelt wird uns nicht nach "high tech und Lederhose" sondern danach beurteilen, wieviel Natur wir zurückgelassen und wieviel wir in Überlebensprogramme investiert haben.

Das europaweite Biotopverbundsystem "Natura 2000" wird von Deutschland und insbesondere vom Freistaat Bayern noch immer nicht ernst genug umgesetzt, obwohl es sich dabei um eine internationale Verpflichtung handelt. Der BN In Bayern hat in einer großartigen Gemeinschaftsaktion zwischen Ortsgruppen, Kreisgruppen und Landesverband für die Staatsregierung eine detaillierte Liste von schutzwürdigen Gebieten erarbeitet und hofft nun, daß diese vorgeschlagenen Flächen ins Netzwerk des Lebens als bleibendes Naturschutzerbe aufgenommen werden.

Erfreut hat der Bund Naturschutz die Ankündigung des neuen bayerischen Umweltministers zur Kenntnis genommen, daß er im Bereich des klassischen Naturschutzes seinen Schwerpunkt setzen will. Wir sichern ihm dabei gerne unsere Unterstützung zu. Auch im Bereich der Agrarpolitik bieten wir der bayerischen Staatsregierung ein Miteinander an, wenn es darum geht unser Land vor dem Maßnehmen am Weltmarkt und vor der Großstruktur der AGENDA 2000 zu bewahren. Förderung des Biolandbaus und der regionalen Vermarktung, Ausgleichszahlungen für ökologische Leistungen und die Rückverlagerung von Kompetenzen der Finanz- und Strukturpolitik von Brüssel in die Regionen sind die Parameter einer zukunftsfähigen Landwirtschaft, die von der Umweltbewegung mitgetragen wird.

In diesem Sinne hat der Landesvorstand des BN mit dem bayerischen Ministerpräsidenten eine Zukunftsdiskussion begonnen, bei der ausgelotet werden soll, wo es in den Bereichen Naturschutz, Landwirtschaft, Energie- und Verkehrspolitik Annäherung und Miteinander gibt und wo die unüberbrückbaren Konflikte bestehen bleiben. Dieser Prozeß, der zwischen Staatskanzlei und Bund Naturschutz in zwei Arbeitsgruppen vorbereitet wird, könnte zu einer beispielhaften Diskussion im Geiste der Rio-Agenda 21 werden.

Die Ergebnisse könnten auch Grundlage weiterer parlamentarischer Lobbyarbeit und einer fortführenden landesweiten Diskussion mit den Kreisgruppen, in der Umweltbildung und bei den AGENDA 21 Prozessen werden.

9. Naturschutz - Offensive

Im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte hat sich in Deutschland eine Umweltpolitik etabliert, der man im technischen Bereich durchaus Erfolg und Fortschritte bestätigen kann. Der Naturschutz, der Schutz der Basis alles Lebendigen aber ist bis heute nicht politikfähig gewesen.

Umweltschutz paßt zum technokratischen, mechanistischen Machbarkeitsdenken, er ist berechenbar in Zeit und Geld und Grenzwerten. Luftreinhaltung und Gewässersanierung leuchten jedem ein und sind angesichts des hohen Umweltbewußtseins politikfähig geworden. Die Libellen in den Flußauen oder die Collembolen in einer Handvoll Erde, der Pirolruf und der Geißblattduft sind es nicht. Und selbst so attraktive Arten wie der Frauenschuh oder der Eisvogel haben allenfalls einen Stellenwert in den Roten Listen, aber niemand kann ihren Geldwert beziffern.

Trotzdem bin ich Optimist, vielleicht pathologischer Optimist geblieben: Denn irgendwie scheint jetzt die Zeit reif zu sein, daß Naturschutz als die Basis alles Lebens politikfähig wird. Da wird plötzlich der Wert der Biodiversität oder deren mögliche Manipulation durch Gentechnik und die Globalisierung der Bodennutzung und des Bodenverbrauchs zum Thema. Und die Globalisierung fordert zu regionalen, dezentralen Kontrast- oder Ergänzungsprogrammen heraus. Die Diskussion um die AGENDA 2000 ist Beispiel dafür.

Diese Bereitschaft will die Naturschutzbewegung jetzt nützen und daher hat der BUND die Naturschutz-Offensive "Naturschutz 2000" gestartet, die auch der Bund Naturschutz vorantreiben will.

10. Leitbild Wildnis

Wenn man mich mit verbundenen Augen durch verschiedene Länder führte und mir hierzulande die Sicht freigäbe, ich wüßte sofort, warum ich in Deutschland bin: Weil nirgendwo eine penetrantere Ordnung in Wäldern und Flüssen herrscht und weil nirgendwo die Gerade und die Sauberkeit so pervers zelebriert wird als bei uns. Die Straße, der Feldweg, die Waldgrenze, Dörfer, Städte, Industrieflächen - eine Zivilisationslandschaft , die aus Amtsstuben und Reißbrettgehirnen kommt und nichts mehr mit Kultur und schon gar nichts mit freier Natur zu tun hat. Und wenn gar jemand die Frage nach einem Rest "Wildnis" stellt - er erntet mitleidsvolles Kopfschütteln.

Ganz im Gegenteil: Die Frage, ob Natur ersetzbar sei, beschäftigt derzeit Landschaftsplaner, Administration und Gesetzgebung, aber auch manchen Spekulanten, der auf dem Wege des Ablaßhandels von seiner Naturzerstörung ablenken will.

Amphibientümpel in Auffahrtsschleifen, Sukzessionsflächen an Autobahnböschungen, Renaturierungskonzepte nach dem Abbau von Bodenschätzen, Ausgleichszahlungen für den Naturschutz bei Neubau von Hochspannungsleitungen, Ankauf von Biotopen und landwirtschaftlichen Nutzungsflächen und deren "Optimierung" bei Verkehrsneubaustrecken oder am Rande von Industriebetrieben werden uns als ökologische Köder angeboten und es wird mit aufwendigen, oftmals perfiden Berechnungsverfahren und sogenannten Biotopbilanzen der Nachweis versucht, daß dem Natur- und Artenschutz eigentlich mit einem Eingriff in den Naturhaushalt am meisten gedient ist.

Akkurat hier setzt mein massivster Protest ein, weil gewachsene Landschaften, weil Arten, weil Lebewesen, weil Mitgeschöpfe, weil Tiere und Pflanzen ebensowenig mit Manipulationen noch mit Geld auszugleichen sind wie das, was wir Heimat nennen.

Deshalb plädiere ich für mehr Mut zur Wildnis. Lassen wir ein paar Wäldern und Fluren ihre Freiheit, haben wir den Mut zum Nichtstun und bringen wir als Forstleute oder Landschaftsplaner die Kraft zur Einsicht auf, daß uns die Natur überhaupt nicht braucht. Lassen wir Natur einfach Natur sein.

Es gehört ja noch immer zum Repertoire eines jeden populistischen Politikers, daß ohne die pflegenden Hände und Maschinen der fleißigen Bauern unsere Heimat zur tristen Unnatur verkommen, daß sie versteppen, verfinstern und verwildern würde.

Auch Forstleute und Flurbereiniger, Jäger, Fischer, Wasserwirtschaftler und Straßenbauer gehen davon aus, daß der liebe Gott ohne ihre Hilfe seine Schöpfung nicht in Ordnung halten könne.

Neuerdings verstärkt ein Heer von Landschaftsplanern und von Landschaftspflegern die Schlacht um die Aufrechterhaltung der Künstlichkeit in unserer sogenannten "Kulturlandschaft".

Müssen angesichts solcher Entwicklungen nicht auch wir Naturschützer darüber nachdenken, welche Natur wir eigentlich schützen wollen? Wollen wir eine Momentaufnahme menschengemachter Landschaft für immer konservieren oder wollen wir die Natur an sich schützen?

Müssen wir nicht manche Aktivität, aber auch manches Naturschutzgebiet kritisch hinterfragen? Hinterfragen, ob jede mühevolle und teuere Pflege auf Dauer Sinn gibt?

Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich werden wir unsere klassischen Trockenrasen oder Niedermoore offenhalten, weil dort Arten leben, für die es keine anderen Lebensräume gibt und wir werden Streuobstwiesen beweiden oder Mittelwälder als artenreiche Ökosysteme bewahren.

Aber wir sollten darüber hinaus wieder viel mehr den Mut zur Wildnis beweisen und uns nicht mit ein paar "Biotopen", als Landschaftsalmosen sozusagen, abspeisen lassen. Vielmehr sollten die Naturschutzgebiete als Perlen eingebettet sein in eine Landschaft, mit der wir insgesamt anständiger umgehen. Wir brauchen also künftig den Naturschutz auf der Gesamtfläche. Und wir brauchen wieder einen Hauch von Wildnis in unserem Lande, damit wir uns nicht ganz von der Natur entfernen.

Das bedeutet einige Korrekturen in unserer Denkweise: Die Entrümpelung des agrarpolitischen Märchens vom Landwirt als Landschaftspfleger gehört ebenso dazu wie das Eingeständnis bei uns Naturschützern selbst, daß manche Pflege-Manie letztlich dem anthropozentrischen Wunschdenken entspricht, die Natur so zu bewahren, wie wir sie gerne haben möchten.

So verstandener Naturschutz aber ist letztlich auch eine Form von Untertan-machen-wollen.

Ist es denn nicht schrecklich, in einem Lande zu leben, in dem ein jeder Quadratmeter "Lebensraum" technokratisch verplant ist, sei es als Wirtschaftsraum und als Entwicklungsachse, als Nutzfläche und Baugebiet oder sei es neuerdings als Zugeständnis "an die Ökologie" eben auch als "Pflegebereich'' oder "Biotop". Die Natur wird quasi in die geschlossene Anstalt gesteckt oder an das Sozialamt der Schöpfung überwiesen.

Dieser Denkweise möchte ich die Überlegung entgegensetzen, daß auch die Sukzession ein schutzwürdiges Gut ist und daß wir auch Freiräume für die Evolution offenhalten sollten.

Warum ergreifen wir nicht die historische Chance angesichts der agrarpolitischen Situation in Mitteleuropa einige Brachflächen einfach sich entwickeln, sich wiederbewalden, einfach sein zu lassen? Oder in den Flußlandschaften ein paar Hunderttausend Hektar Auwälder zum Schutz gegen Hochwässer neu aufzuforsten?

Ist das Entstehen von Haselnußhecken, Birkendickungen, eines Wacholderhanges oder eines Erlenbruches denn ein Unglück, auch wenn das zum Artenwechsel führt. Entsteht nicht wundervoller Pionierwald nach dem Borkenkäfer-Zusammenbruch in denn Hochlagen der Mittelgebirge oder Schilffelder, wo ein Teich verlandet? Oder prächtige Feuchtgebiete, wo wir die Gräben nicht mehr offenhalten und Waldsäume, wo wir ehedem bis an die Baumrinde geackert haben.

Wenn wir das Recht der Wildnis wieder mehr respektieren, müssen wir manches statische Naturschutz-Management zugunsten des ewigen Fließens und des Wiedererstehens aus der Endlichkeit aufgeben.

Vielleicht sollten wir daher wieder etwas gespüriger werden für Lebensabläufe, vielleicht müssen wir auch unser Naturschützer-Verhältnis zur Natur neu überdenken im Sinne einer Zukunfts-Ethik, die der Landschaftsgeometrie entsagt und sich dem Sein und Sein-Lassen zuwendet.

Ohne anthropozentrisches gegen biozentrisches Denken auszuspielen. Aber in der eher spirituellen Ahnung, daß wir eine gemeinsame Erde, ein gemeinsames Lebewesen sind.

Mut zur Wildnis, das ist auch der Mut zur Selbstbeherrschung. Zum Schauen statt zum Tun. Das Nicht-Einmischen in die ganz anderen. Nichtstun als Naturschutz. Der Respekt vor Heiligtümern, das Hintanstellen unserer arteigenen Arroganz gegenüber dem Rest der Schöpfung.

Dann wird uns plötzlich klarer, warum zum Wesen des Waldes auch ein Luchs gehört, selbst wenn wir ihn nicht zu Gesicht bekommen. Daß die Biberspäne am Ufer dem Fluß ein Stück Geheimnis zurückgeben und der Flügelschlag eines Apollofalters den Heidehang heiligt.

11. Nachhaltigkeit erfordert Veränderungsfähigkeit (2)

Auf der Suche nach zukunftsfähigen Konzepten hat die Naturschutzbewegung an der Jahrhundertwende die historische Chance mit ihren Visionen und Leitbildern die Ratlosigkeit der Gesellschaft, sowohl national als auch International zu überbrücken. Unsere flächendeckende Präsenz, eine sinnvolle Arbeitsteilung unter den verschiedenartigen Umweltverbänden und der lange, über Waldperioden hinausreichende Atem kann dazu hilfreich sein.

In dieser Situation könnte Naturschutz zur Gesellschaftspolitik werden, diese offenen Momente in der Geschichte, diese Chance zur Politikfähigkeit unserer Überlebensprogramme sollten wir nutzen. Dann könnte die Umweltbewegung Träger der Nachhaltigkeitsidee werden.

Mangels schlüssiger Zukunftsentwürfe durch Politik oder andere gesellschaftlich relevante Gruppen bekommt die Ökologiebewegung an der Jahrtausendwende die einmalige Chance mit ihren "Überlebensentwürfen" die Visionen von einer neuen Moderne zu formulieren und auch die Umsetzung ihrer Leitbilder anzustoßen.

Die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland", der Entwurf eines "Nationalen Umweltplans" und ähnliche Vorschläge haben die Lebensstil-Debatte und die Suche nach einem anderen Wohlstandsmodell lebhaft entfacht und die Agenda 21-Prozesse auf vielen Ebenen um ökologische Komponenten bereichert.

Psychologie und Tiefenökologie haben dazu beigetragen, die Hemmschwellen zu entziffern, damit der weite Weg vom Kopf zur Hand gemeistert und der Phase der Diagnose eine Phase der Therapie, also des Umsetzens folgen könnte. Das Wissen ist da, das Handeln steht aus. Es wird somit die größte Herausforderung, die Art Mensch zu verändern.

"Nachhaltigkeit" ist zur Philosophie der neuen Reformbewegung ins 21.Jahrhundert geworden. Noch viel zu zaghaft beginnen die Umweltverbände ihren Provinzialismus zu überwinden, indem sie die weltweite Vernetzung, das enger zusammengewachsene Bild von der gemeinsamen Erde, den Nord/Süd-Konflikt und den gesamten Rio-Nachfolgeprozeß in ihre Programmatik aufnehmen und Bündnisse mit Dritte-Welt-Organisationen oder in kirchlichen Einrichtungen eingehen.

Eines zeichnet sich jedenfalls ab: Der "Rote Listen Naturschutz" herkömmlicher Art, das Schornsteinklettern oder Waldsäuberungsaktionen sind ebenso out wie die Grenzwertephilosophie und das Machbarkeitsdenken in der Umweltpolitik. Eine andere Denkweise, ein anderes Wohlstandsmodell, ein nachhaltiges Zukunftskonzept sind an der Zeitenwende angesagt, welche Irrationales so ernst nimmt wie Zahlen, Daten, Fakten.

Auch die Drohung mit Weltuntergängen läuft nicht mehr und die Ära der Umweltängste scheint angesichts der coolen Denkweise unserer Tage ebenfalls out zu sein. So muß eben auch für die Ökologiebewegung gelten, was der Heraklit von Ephesos 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung als Prinzip des Lebens beschrieben hat, nämlich, die Veränderung: Angesichts rasanter, kaum noch überschaubarer Veränderungen an der Zeitenwende (als Beispiel seien die Begriffe Globalisierung und Neue Medien genannt) sind neue Formen der Kommunikation und neue Bündnisse mit Überlebenswilligen angesagt: Feindbilder abbauen, Konsens suchen, Mut machen und Lust am Leben vermitteln ist die Herausforderung der Umweltbewegung.

Es ist doch geradezu kurios, daß sich die deutsche Umweltbewegung immer häufiger miteinander beschäftigt oder gegenseitig blockiert, während gleichzeitig national und global von Gewerkschaften bis zu Konzernen und Banken die Mächte fusionieren. Drängt dies nicht gerade auch uns, über Veränderungen nachzudenken und zu erkennen, daß Veränderungen eben das Prinzip des Lebens sind und Veränderungsfähigkeit die Voraussetzung für jede Nachhaltigkeit ist. Es ist unsere Aufgabe mit zukunftsweisenden Veränderungsvorschlägen in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Auch die Suche nach weiteren Bündnispartnern ist überfällig. Die Zusammenarbeit mit ökologischen Landbauverbänden und den Verarbeitern ökologischer Produkte, unsere Energie Allianz, der Erfolg der immer zahlreicher werdenden Ökomessen oder das Miteinander von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, aber auch die Kooperation mit Industrie und Handel seien beispielhaft genannt.

In dieser Wendezeit der Umweltpolitik erwartet die Gesellschaft von der Umweltpolitik, anstatt der zwei Jahrzehnte lang immer wiederholten Diagnosen und Forderungen, welche mittlerweile im Kreise der Verantwortungsträger als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, neue Antworten und Lösungsvorschläge. Dazu sollten die Umweltverbände ihre alte Vordenkerrolle wieder aufnehmen, anstatt sich von cleveren Verwaltungen und Politikern in arbeitsträchtige Beteiligungsverfahren oder ergebnislose Pakte und Foren einbinden zu lassen. Befreien wir uns von solchen Umarmungsversuchen und von den Informationslawinen, haben wir den Mut zur Lücke und ziehen wir uns gelassen aus einigen Politikbereichen zurück, deren Aufgaben mittlerweile von einer immer besser werdenden Administration geleistet werden können. Und überdenken wir auch, ob jeder Gerichtsprozeß noch Sinn gibt, zumal richterliches Entscheiden immer auch dem Zeitgeist entspricht. Anstatt in blinden Aktionismus zu verfallen sollten wir künftig auch das Nichtstun als Naturschutz, das Natur Natur sein lassen, den Mut zur Wildnis fördern.

Wir sollten auch die andauernden Selbstgespräche beenden und statt dessen in andere Gruppen hinein ohne uns dabei selbst zu verleugnen. Bauen wir die Berührungsängste mit Wirtschaft und Technik ab: Mit unseren drei Grundwerten "geistige und materielle Freiheit", dem "Glauben an die Kraft einer Idee" (die stärker ist als Macht und Geld) und mit der unverkrampften Fröhlichkeit der Habenichtse können wir jede Diskussion mit anderen Gruppen dieser Gesellschaft bestehen, zumal wenn wir ihnen die Angst vor "der Ökologie" nehmen und statt dessen die Ökonomie und die Zukunftsfähigkeit ökologischen Denkens vermitteln und nicht länger mehr das "Naturnutzer/Naturschützer-Syndrom" pflegen. Hier sind wir gefordert, einige Verkrustungen aufzubrechen.

Einige innerhalb der Umweltbewegung aber sollten endlich über die Schatten von Vereinsmeierei, Gruppenegoismus, Selbstdarstellungs- und Profilneurosen springen, damit diese endlich eine den Gewerkschaften, Parteien oder Kirchen in Deutschland ebenbürtige Kraft wird. Dazu ist Toleranz erforderlich, denn schließlich haben Artenschützer, Fischer oder Wanderer halt verschiedene Interessenslagen, aber die gemeinsame Basis ist allemal anders als die mit einem Automobilclub.

Wir sollten uns überhaupt mehr mit uns Menschen als der Ursache der Umweltprobleme befassen, anstatt mit bloßen Fakten zu operieren. Was not tut ist eben ein neues Selbstverständnis im Umgang mit der Natur und mit unseren Mitgeschöpfen. Wenn wir aber untereinander unfriedlich umgehen, wie sollten wir dann die Natur schützen wollen. Fest steht bekanntlich, daß glückliche Menschen weniger kaputt machen.

Nicht Imponiergehabe und Selbstdarstellung und nicht die heroischen Taten sind es, was uns verbinden sollte, sondern unsere Sehnsüchte und unsere Schwächen; denn erst die gemeinsame Unzulänglichkeit und unsere Fehler, die wir alle begehen, sind es, die uns menschlich und damit stark machen.

Wenn in diesen Tagen darüber gejammert wird, daß zu wenig soziales und ehrenamtliches Engagement stattfinde und die Flucht ins Privatistische und der Egoismus Konjunktur haben, so stimmt dies nur zum Teil. Tatsache ist nämlich auch, daß immer mehr Bürgerinnen und Bürger eine neue gesellschaftspolitische Heimat in den Umweltorganisationen suchen, was die steigenden Mitgliederzahlen beispielsweise im Bund Naturschutz beweisen. Darauf kann die Politik stolz sein; deshalb können wir auch mehr Mitspracherechte verlangen.

In einer Zeit, wo neue Lebensstile und andere Formen der Arbeit diskutiert werden kommt dem Ehrenamt ein ganz gewichtiger Stellenwert zu. Organisationen, wie sie in der Ökologiebewegung tätig sind, sollten daher das sensible Verhältnis von Hauptamt und Ehrenamt ebenso überdenken wie sie sich auf eine neue Qualität von Ehrenamtlichen einstellen müssen.

Akzeptieren wir gerade im Ehrenamt die Vielfalt der Motivationen, erwarten wir nicht den besseren oder perfekteren Menschen in unseren Reihen, sondern erkennen wir, daß jede oder jeder irgendwo ganz stark sein kann. "Teilzeitheiligkeit" ist allemal besser als Scheinheiligkeit.

Sicherlich muß auch die Qualifizierung des Ehrenamtes verbessert werden. Auch soll Ehrenamt nicht bedeuten, daß dadurch auch noch materielle Nachteile entstehen; daher sollte das Ehrenamt im Sinne neuer Formen von Arbeit künftig auch mit angemessenen Aufwandsentschädigungen oder steuerlichen Vergünstigungen ausgestattet werden.

Die Gleichwertigkeit von Hauptamt und Ehrenamt muß. gegenseitig anerkannt werden. Ehrenamt ist qualifizierte Arbeit auch dann, wenn es vom Hauptamt mit den besseren Informationen versorgt werden muß. Synergie statt gegenseitiges Ausspielen und der "Mut in die zweite Reihe zu treten" und sich auch am Erfolg Gleichgesinnter mitfreuen zu können setzt unendlich viel Kraft frei, zumal dann, wenn Ehrenamt und Hauptamt·6ereit sind Erfolge und Niederlagen miteinander zu teilen. Solch eine Kultur des menschlicheren Umgangs sollte Markenzeichen der ökologischen Reformbewegung werden.

Feiern wir gelegentlich Feste miteinander, anstatt von einem Kriegsschauplatz zum anderen zu eilen, hocken wir uns beim Naturschutzstammtisch einmal "völlig ineffizient" und ohne Tagesordnung zusammen, binden wir auf Wanderungen unsere Familien mit in die Lust am Naturschutz ein.

Es geht insgesamt für die Umweltbewegung also nicht mehr um die eingefahrene Wegbegleitung herkömmlicher Gesellschaftspolitik, sondern um Wegänderung.

Jetzt muß was Neues kommen: Die Politik hat sich verändert, der Globus ist mit sechs Milliarden Menschen an der Schwelle zum 3.Jahrtausend noch enger, der Konkurrenzdruck zwischen Mensch und Schöpfung noch härter, brutaler geworden. Dies zwingt uns zu einer Solidargemeinschaft alles Lebendigen und aller Überlebenswilligen, zwingt uns aber auch zum Überdenken mancher Positionen und Feindbilder.

Was im Europäischen Naturschutzjahr 70 richtig war, kann nicht ungeprüft auf 2000 fortgeschrieben werden.

Die Diagnose ist seit Rio bekannt. Die Phase des Tuns ist angesagt, die Zukunft gehört nicht den Kundgebungen und dem Bierzeltgeschrei, sondern sanfteren, überzeugenderen Tönen und Taten. Wir sind Vordenker gewesen, also müssen wir jetzt Vorbilder werden, müssen das, was wir so gerne von anderen fordern zunächst selber erfüllen um glaubhaft zu bleiben. Auch die Zeit der Scharfmacher und der Polarisierer ist abgelaufen, weil zur Bewältigung der Zukunftsprobleme Konsenssuche und Miteinander angesagt sind. Das war die Botschaft, die vom Erdgipfel in Rio ausging.

Nicht rhetorische Feuerwerke, die schnell verglühen, sondern die Feuerzungen eines neuen Geistes und Lebensstils haben Zukunft.

Dieser Aufbruch ist zu schaffen, ja wir können ihn schaffen, weil wir gute Argumente haben.

Aber nicht Nörgelei, Besserwisserei und Schwarzmalerei, sondern Lust am Leben und Fröhlichkeit sind dazu Voraussetzung, wenn wir die Kälte der Macher und Neodarwinisten überwinden wollen.

Denn nur im Konsens mit dem Leben ist Leben zukunftsfähig, somit sollte das 21. Jahrhundert eine Phase der Wiedergutmachung einleiten, die mütterlich, weiblich und mild ist.

Laßt uns also zu unseren Wurzeln, zur Natur als der Basis alles Lebendigen zurückkehren, anstatt uns im umwelttechnischen Kleinkram oder in vordergründigem Medienspektakel zu verstricken.

Auf dem Erdgipfel in Rio wurde die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, sowie deren Vernetzung mit den sozialen Lebensbedingungen der jetzigen und der künftigen Menschheit als die ethische Herausforderung der Jahrtausendwende erkannt und im "Nachhaltigkeits-Prinzip" als Leitlinie künftiger Politik festgeschrieben. Nachhaltigkeit setzt jedoch Veränderungsfähigkeit und neues Denken voraus.

Die Überlebensfragen der Menschheit lassen sich doch längst nicht mehr allein mit effizienten Managementstrategien oder mit immer mehr Umwelttechnologie oder gar mit noch mehr Wirtschaftswachstum lösen. Was not tut ist ein spiritueller Aufbruch, eine irrationale, mystische Komponente, damit der weite Weg vom Kopf zur Hand gemeistert werden kann und die menschliche Widersprüchlichkeit zwischen Wissen und Handeln wenigstens in Teilbereichen überwunden wird. Freude am Naturschutz und Lust auf Zukunft ist allemal besser ist als verbiesterter Fundamentalismus. Schließlich hat der Verzicht auf Nutzloses nichts mit Askese zu tun.

Seit den Thesen von Rio ist die Überwindung der Menschheitskrise: nicht leichter geworden: Die Globalisierung des Wettbewerbs und die damit verbundenen sozialen Sorgen fordern zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik, zu neuen Formen der Arbeit und zu nachhaltigen Leitbildern und sinnstiftenden Lebensformen heraus.

Gleichzeitig gerät die Politik immer mehr in die Abhängigkeit von Ökonomie, Großstruktur und Wirtschaftsmacht. Wer, so frägt man sich gelegentlich, regiert eigentlich unser Land?

Dieser Strukturwandel, dem die Menschheit derzeit weltweit unterliegt, voran die hochzivilisierten Industriestaaten des Nordens, bedarf einer ethischen Begleitung, also jener Wertediskussion, welche zwei Generationen lang bei uns nicht geführt wurde. Die Naturschutzbewegung sollte sich in diese Diskussion mit ihren Visionen und Werten einbringen.

Ein Grundpfeiler für diese Wertediskussion könnte die "Schöpfungsverantwortung" sein, die nicht nur eine ethische, sondern letztlich auch eine religiöse Dimension beinhaltet, und die Vielfalt alles Lebendigen als "Schicksalsgemeinschaft" begreift.

Zur Menschenwürde gesellt sich somit der Eigenwert der Natur an sich.

Der Einsatz für das Leben ist unteilbar.

"Nachhaltigkeit" und "Schöpfungsverantwortung" könnten die Leitlinien einer zukunftsfähigen sozialen Kultur werden, in der sich naturwissenschaftliche Erkenntnisse und politische Realitäten mit geisteswissenschaftlichen Visionen zur Reformbewegung des kommenden Jahrtausends vereinigen.

So gesehen ist unser Programm, die wir das Leben in seiner Vielfalt schützen wollen eine tragfähige Philosophie für die Zeitenwende und gleichzeitig ein handfestes Programm der Hoffnung und wer dabei ist im Bund Naturschutz, der kann stolz darauf sein!

 


Dieses Manuskript wurde nicht wörtlich im vollen Umfang vorgetragen, sondern durch aktuelle Bezüge aus der vorausgegangenen Wanderung durch die Böhmfelder Flur und eine daran anschließende Gesprächsrunde ergänzt.

"Es gilt das gesprochene Wort".

Veröffentlichung im Internet mit Einverständnis des Autors.

Download als gezipptes Word.doc.

Böhmfeld, 09.05.99; adamo


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© 1999; AdamO
Stand: 16. Januar 2000