In „hohen Schuhen“ durch Island
Das isländische Selbstbewusstsein zeigt sich vom ersten Moment
der Reise an: Jón Baldur, unser einheimischer Führer von Isafold
Travel, startet die Tour mit einem Höhepunkt - im Herzen Islands -
dem Thingvellir. Hier tagte 900 Jahre der Althing, das Parlament und
hier driften auch zwei tektonische Platten auseinander. Unzählige
Spalten, Gräben und Verwerfungen lassen der Fantasie freien Lauf:
Bin ich noch in Europa oder schon in Nordamerika? Nur ungern trennen
wir uns von diesem magischen Ort.
Fortan wechseln die Landschaften ihr Gesicht in rascher Folge.
Soeben noch auf einem unwirtlichen Pass in rund 600 m Höhe, stehen
wir jetzt fasziniert vor Wasserfällen, den Hraunfossar, die sich
dutzendfach unter einem Lavafeld heraus in eine Schlucht mit
eisblauem Gletscherwasser stürzen. Und nach einigen Kilometern
Richtung Westen halten wir an heißen Quellen, die in einer Sekunde
200 Liter Wasser, 100 Grad heiß, aus der Erde hervorstoßen und damit
in Gewächshäusern Tomaten reifen lassen.
Abends bezieht unsere Gruppe, zehn Island-begeisterte Bayern,
Quartier auf der Halbinsel Snaefellsness, auch „Island in der
Nussschale“ genannt und wir lassen den Tag bis spät in den Abend
hinein bei herrlichstem Sonnenschein und Gitarrenmusik ausklingen.
Drei Stunden wandern wir am nächsten Tag durch dick bemooste
Lavafelder, gerade mal 2000 Jahre alt, entdecken in den bizarren
Formen der kaum erodierten schwarzer Lava Trolle und andere
versteinerte Wesen, aber auch zarte Blumen. Ziel unserer Exkursion
ist ein Ringkratervulkan mit bemerkenswert gleichmäßiger Kegelform,
den wir in Entdeckerlaune umrunden und besteigen.
Weiter geht’s im komfortablen Isafold-Travel-Geländebus zu
schwarzen Basaltklippen mit tausenden brütenden Dreizehenmöwen,
einer ehemaligen Walfangbucht mit schwarzem Kieselstrand, vorbei an
aufragenden Schlotresten und wie Holzbalken gestapelten Basaltsäulen
im Meer. Und dann plötzlich, wie bestellt, verziehen sich die Wolken
und der Snaefellsnessjökull zeigt sich uns majestätisch mit seiner
weißen Gletscherkappe.
Aufbruch Richtung Nordwesten. Zunächst per Fähre über den
Breidarfjördur mit einer mehrstündigen Zwischenstation auf der Insel
Flatey - zu früheren Zeiten ein wichtiges Handels- und
Kulturzentrum. Heute leben nur noch wenige in dem beschaulichen Ort
mit seinen bunten Häuschen. Hektik und Terminstress sind
abgeschüttelt beim Beobachten der schimpfenden Küstenseeschwalben,
scheuen Eiderenten und anderer nordischer Vögel. Ein Schmunzeln
entlocken die dicken Knäuel von Schafen, die ihre Wolle teilweise
wie eine Schleppe hinter sich herziehen, weil sie nicht geschoren
werden und die übermütig herumtollenden Islandpferde. In Windeseile
vergeht die Zeit auf diesem ruhigen Eiland und wir setzen mit der
richtigen Einstimmung über zu den vor uns liegenden Tagen in den
Nordwestfjorden, dem touristisch noch relativ unbekannten Teil
Islands. Für 4 Nächte beziehen wir Quartier im gemütlichen Haus
Thverá an der Südküste der Fjorde - eine völlig andere Landschaft,
mehr als 5 Millionen Jahre alt und damit das krasse Gegenteil zu dem
bisher Erlebten.
Das Zeitgefühl verloren durch die nicht beginnen wollende
Dunkelheit genießen wir die taghellen Abende nahe des Polarkreises
mit einem ständig wechselnden Schauspiel von Licht, Schatten und
Farben. Das Motto unserer Reise wird hier voll erfüllt:
„Mittsommernachtstraum“!
Strahlender Sonnenschein und blauer Himmel begeistern heute zu
der abenteuerlichen Fahrt durch karge Tundrahochflächen und
Mondlandschaften, über Geröllfelder hinab zur weiten Bucht
Baejarvadal in Raudasandur. Durch eine Nehrung fast völlig vom
offenen Meer abgetrennt und von Bergen eingeschlossen wird die
Lagune mit ihrem goldgelben Sand als schönster Strand Islands
gerühmt. Kein Laut ist zu vernehmen, kein Mensch zu sehen, nur das
Meer säuselt leise vor sich hin. Stunden können hier zu Minuten
werden, doch wir haben heute noch einiges vor.
Mit der bis zu 400 m hohen Steilküste von Latrabjarg erreichen wir
den westlichsten Punkt Europas. Abertausende Vögel erwarten uns in
einem der weltgrößten Vogelnistgebiete mit ihrem ohrenbetäubenden
Geschrei – eigenartige Laute zwischen Lachsack und Säuglingsstation.
Putzige Papageitaucher, kreischende Möwen, segelnde Eissturmvögel.
Der folgende Tag steht ganz im Zeichen der majestätischen Welt
der Fjorde. Über einen Pass mit Steinmännern, die in früheren Zeiten
den Reisenden zu Pferde den Weg zeigten, erreichen wir erneut eine
völlig andere Gegend - die atemberaubende Fjordlandschaft mit dem
Hauptfjord Arnarfjördur. Mächtig, aber still und in sich ruhend,
getaucht in fahle Farben und fast menschenleer. Hier spiegelt sich
die isländische Seele wider mit ihrer Gelassenheit und inneren Ruhe,
die wir täglich durch unseren Reiseleiter erleben dürfen.
Etwa 50 km führt uns die schmale Schotterpiste vorbei an
beeindruckenden Tafelbergen, Felsklippen und von Eiszeit-gletschern
ausgeschabten Trogtälern, fruchtbar und früher von einzelnen Bauern
bewirtschaftet, zum Fjord hin begrenzt durch weiße Sandstrände, bis
Selárdalur, das äußerste, einstmals bewohnte Tal im Fjord. Hier
scheint das Ende der Welt erreicht zu sein. Verlassen, ein
leichteres Leben suchend, zeugen ein Kirchlein mit dazugehörigem
Friedhof und Gehöftruinen von Besiedlung bis vor ein paar
Jahrzehnten. Wir wandern ins Tal, nur die Sonne und das Glucksen der
Bächlein begleiten uns. Jón erklärt in perfektem Deutsch fundiert
und spannend geologische oder historische Besonderheiten. Manchmal
scheint er Gedanken zu lesen, da er auf ‚Fragen’ eingeht, die von
uns noch gar nicht verbalisiert sind. Faszinierend und angenehm
zugleich. Der Weg führt uns steile Hänge hinauf, bis die ersten
Felsreihen ermahnen, in leichten Wanderschuhen nicht weiter zu
steigen.
Bei der Rückfahrt, den imposanten Fjord entlang, erscheinen die
schroffen Eiszeitfelsgebilde wie riesige Schiffsbuge, nebeneinander
gereiht und bereit zum Angriff! Bevor wir zurückkehren nach Thverá
entspannen wir in einem Natur-Hotpot, lassen das Erlebte auf uns
wirken und machen noch einen Abstecher zu einem der
beeindruckendsten Wasserfälle Islands, dem Dynjandi, der sich
mehrstufig über die Felsen stürzt. Mit köstlichem, fangfrischen
Saibling beschließen wir diesen erlebnisreichen Tag.
Bereits ans Wandern gewöhnt, führt uns die von Isafold-Travel
individuell für uns koordinierte Tour am Tag sechs über Täler und
Hochebenen, Bachschluchten und Graumoospolster zu einer ganz
besonderen Stelle. Hier gibt die Erosion Baumstämme und Blätter
frei, einige Millionen Jahre alt, teilweise verkohlt und scheinbar
versteinert. Darüber laufende Lava konservierte die Zeugen
vergangener Vegetationen. Erdgeschichte zum hautnah Miterleben und
Anfassen fasziniert uns alle. Noch lange sprechen wir darüber,
während es bereits weiter geht durch unberührte Natur, nur manchmal
durchzogen von einsamen Schafspfaden. Plötzlich bückt sich Jon,
pflückt eine Flechte und erzählt, dass diese, reich an Vitaminen und
Mineralien, in früheren Zeiten gesammelt und mit Milch zu einer
Suppe gekocht wurde. Neugierig auf den Geschmack, sammelten auch wir
diese Flechte und Jon bereitete am Abend daraus eine wirklich
köstlich schmeckende Grasamjólk.
Zeitig ist am kommenden Tag Aufbruch zu einer langen Fahrt,
einsame Fjorde entlang, nach Osten. Das stabile Fahrgestell unseres
Wagens zahlt sich aus auf der steinigen und wenig frequentierten
Piste. Nachmittags erreichen wir die Halbinsel Vatnsnes im grünen
und fruchtbaren Norden Islands, wo wir eigentlich Robben an der
Felsküste beobachten wollten. Aber scheinbar war ihnen das
regnerische Wetter zu unangenehm. So ist das mit der Natur! Auf
Vorbestellung geht gar nichts. Dafür genießen wir in unserem Hotel
Bakkaflöt den Abend im angenehm warmen Wasser des Hotpots.
Ungemütlich und wolkenverhangen ist der heutige Tag für unsere
Fahrt durch’s Hochland nach Süden. Mitten in der düsteren
Mondlandschaft sind aufsteigende Dampfschwaden zu sehen: die
Thermalfelder von Hveravellir. Aus unterschied-lichsten
Dampfaustritten und kochend heißen Quellen brodelt, gurgelt und
faucht es. - Dann aber nichts wie hinein in den Hotpot bei nur 8
Grad Außentemperatur!
Der gewaltige Gullfoss-Wasserfall und der Geysir Strokkur stehen
als nächstes auf dem Plan - die touristischen Wahrzeichen Islands
und sie lassen es sich nicht nehmen, sich in herrlichstem
Sonnenschein zu zeigen.
Heute können wir unsere „hohen Schuhe“ im Gästehaus lassen, denn
der vorletzte Tag gehört wieder der Zivilisation, die uns schon fast
ein wenig fremd geworden ist und wir besuchen Reykjavik, farbenfroh
und lebendig mit modernen Gebäuden und Skulpturen im für die
Nordländer typischen Stil – geradlinig und klar.
Ich denke, alle sind wir froh, unseren letzten Tag nochmals in
der Natur zu verbringen. Tiefe Furten und holperige Pisten führen
uns in das Tal von Thórsmörk, einem weiteren Superlativ dieser
Reise, mit dem mäandernden Gletscherfluss, bizarrer Lava- und
Gletscherwelt, tiefen Schluchten und hohen Wasserfällen.
Nach einem köstlichen Hummeressen an der Südküste genießen wir
die letzten Stunden auf Island in den warmen Fluten der „Blauen
Lagune“ und lassen die unglaublich vielen und fantastischen
Eindrücke Revue passieren - unauffällig, aber stetig begleitet durch
unseren Reiseleiter Jón mit kundigen Erklärungen, Erzählungen und
Sagen über seine Heimat.
10 Tage West-Island - fast nur in „hohen Schuhen“ - gehen zu
Ende. „Hohe Schuhe“? - eine der zahlreichen Wortschöpfungen unserer
so herrlich fröhlichen Tage. Gemeint sind natürlich unsere
Wanderstiefel !
Anmerkung der Autorin: Seit meinem 12. Lebensjahr wollte ich nach
Island reisen – jetzt weiß ich warum . . .
Gisela Hammer, 28.06.2003 |