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"I bau dia a Krippn, aber de muass ausschaun wia a
Heistodl"
Christbäumchen voller
Lichter, glitzernde Girlanden, rotbemäntelte Weihnachtsmänner, goldene
Sterne und schimmernde Glaskugeln - bei Familie Siegwardt in der
Pfarrsiedlung in Böhmfeld weihnachtet's überall sehr - vom Vorhaus bis ins
Wohnzimmer, soweit das Auge des Besuchers reicht. Jedes Jahr mindestens
fünf Wochen lang. Nicht sentimental kitschig, sondern Liebe zum Detail und
feinsinnigen Geschmack verratend. Blickfang sind dabei die
außergewöhnlichen Weihnachtskrippen, von denen die größte im
Eingangsbereich aufgebaut ist, zwei im Treppenhaus stehen und eine
besonders prächtige das Wohnzimmer schmückt - nicht erst zu Heiligabend,
sondern schon vor dem ersten Adventssonntag.
Bis vor neun Jahren holte man im Hause Siegwardt - wie es normalerweise
der Brauch ist - die Weihnachtskrippe samt Figuren - schlichte Massenware
aus dem Kaufhaus - kurz vor dem hohen Fest aus der Schachtel, platzierte
sie unter dem Christbaum - und war damit zufrieden. Das änderte sich
schlagartig, als ein Verwandter an Weihnachten 1993 seine selbstgebaute
Krippe präsentierte. "So oane mog i a!" lag Margot Siegwardt ihrem Ehemann
in den Ohren. Nicht lange, dann fasste der damals 39-Jährige einen
Entschluss, dessen Auswirkungen er zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen
konnte: "I bau dia a Krippn, aber de muass ausschaun wia a Heistodl."
Kurzerhand besorgte sich der im Spinnereimaschinenbau beschäftigte
zierliche, agile Maschinenschlosser mit der sympathischen Urbayernmundart,
aufgewachsen am Kraiberg in Gaimersheim und vor 20 Jahren durch seine
Heirat nach Böhmfeld gekommen, passendes Fichtenholz. Obwohl er bis dato
mit diesem Naturwerkstoff "nix am Huat ghobt hot", begann er munter
drauflos zu zimmern und zu schnitzen, jedoch nicht, ohne vorher eine
maßstabgetreue Zeichnung entworfen zu haben: "I hob nirgends wos
abgschaugt und oafach drauflos probiert." Und das Ergebnis mit seiner
richtigen Holzhäusern exakt nachempfundenen Balkenkonstruktion mit
Schindeleindeckung konnte sich sehen lassen, wurde von Verwandten und
Bekannten bestaunt und zieht - auch wegen seiner selbstgemachten
reichhaltigen Ausstattung - noch heute während der Weihnachtszeit im
Eingangsbereich des Siegwardt'schen Wohnhauses die Blicke der Besucher auf
sich. "Der macht des guat!" Valentin Siegwardts neu entdecktes Naturtalent
sprach sich rasch herum. Der Oma, dem Bruder, Arbeitskollegen und
Bekannten, allen gefielen plötzlich ihre Nullachtfünfzehn-Krippen nicht
mehr. Einer nach dem anderen klopfte bei dem frisch gebackenen
Krippenbauer an: "Mach uns doch bis Weihnachtn a so a schene Krippn!" Ein
wenig Geduld mussten die Auftraggeber freilich mitbringen, denn Siegwardts
anstrengende Berufstätigkeit und noch fehlende Routine ließen pro Jahr die
Vollendung von jeweils nur einem der mittlerweile immer perfekter
werdenden Bauwerke zu. "Wia i sechs Krippn fertig ghobt hob, hob is im Böhmfelder Pfarrheim
ausgstellt, und die Leit warn begeistert und hom vo mir Krippn woin. A boa
hom ma a ihre oidn Krippn zum Umbaun brocht", ist Valentin Siegwardt stolz
auf seinen damaligen spontanen Erfolg. Vorbei war die "stade Zeit" mit nur
einer Krippe im Jahr; zwei bis vier mussten es, entsprechend der
"Auftragslage", ab 1996 sein: Kleine Stallkrippen mit Pultdach und große
mit Satteldach und einer Gaube, unterteilt in Stall und Wohnraum, - immer
nach derselben Grundidee, jedoch mit vielen Abwandlungen und
verschiedenartigen Ausstattungsdetails. Im Zentrum von Siegwardts Krippen
stehen aber immer - liebevoll eingefügt - Maria, Josef und das Jesuskind. Schaut man sich genau um, fühlt man sich gleich heimisch in einem - fast -
authentischen Bauernhof aus Urgroßvaters Zeiten mit seinem bunten Leben
und geschäftigen Treiben, nur eben im Kleinformat: Über dem flackernden
Feuer hängt der Suppentopf, daneben bläst ein Kind auf der Flöte, unter
dem Wandregal mit Geschirr laden Wangentisch und Sitzbänke Bauersleut,
Gesinde und Hirten zum gemütlichen Feierabend ein. Die mit markanten
Beschlägen und funktionierenden Riegeln versehenen Holzbrettertüren drehen
sich ebenso wie die Fensterflügel und -läden in den Angeln. Heimelig
warmes Licht schicken Lampen und Laternen durch Sprossenfenster und Luken.
Trittfest erscheinen die Treppen, stabil und sicher Gatter und Geländer.
Dachstuhl, Lattung und Schindeln zeugen von solider Zimmermannsarbeit. An
den groben Seilen des gangbaren Lastenaufzuges baumeln Heuballen und
Holzgefäße für Getreidekörner. Wassereimer stehen mitten auf der Tenne,
und an der Wand lehnen und hängen Reisigbesen, Dreschflegel, Sense, Holz-
und Eisenrechen, Vorschlaghammer, Bogensäge, dicke Stricke und starke
Drähte und was man sonst noch so im bäuerlichen Alltag braucht. Vor der Scheuer steht der beladene Handwagen mit Sprossenrädern oder eine
Holzschubkarre abfahrtsbereit da, und die Schafe streben der gefüllten
Futterraufe und dem Trog am Schöpfbrunnen zu. Draußen hat ein Schnitter
die Sichel zwischen die derben Wandbretter gesteckt. Im Hof warten
Hackstock und Beil, Dengelbock und -werkzeug auf fleißige Hände. Sorgsam
aufgestapelt trocknet Scheitholz in Scheune und Garten, und im Misthaufen
steckt noch die Gabel. Gockel und Hühner scharren hinterm Gartenzaun
zwischen Jurasteinmauer und Sträuchern und sind Bewohner eines eigenen
Stalls mit Falltürchen. Auch der Star kann im Frühling sein artgerechtes
Brutdomizil beziehen. Vor seiner Hütte kläfft der Hofhund, und im kahlen
Geäst eines Baumes lauert auch mal eine Katze. Aus der spiegelblanken
Eisdecke des Weihers ragt frosttrockenes Schilf in die Winterstille, und
rund um das einladende Wohnstallhaus haben sich Moose, Gräser, Kräuter,
Stauden und Steine versammelt, hier und dort überzuckert mit Raureif und
frisch gefallenen Schneeflocken. Valentin Siegwardts untrügliches Gefühl fürs Bodenständige, sein sicheres
Gespür für vertraute Einzelheiten, das jedoch jeglicher Übertreibung
Grenzen setzt und kein Überladen zulässt, sowie die Vollkommenheit der
Ausführung machen seine Weihnachtskrippen zu handwerklichen Kunstwerken,
die viel zu schön sind, als "dass ma si nur 14 Dog im Joar aufstellt". "I mach nur des, was ma gfoit, und des muass funktioniern. Do tüftl i dann
so lang hi, bis alles passt. Wenns moi danebn ganga is, reiß i a ei, was
mer vorher a Heidnorwat gmacht hot", verrät der schon lange zum
Perfektionisten gewordene Krippenspezialist mit spitzbübischem Lächeln ,
aus dessen Händen bislang 19 Krippenunikate hervorgegangen sind. Bis auf das Außengelände der Krippen, bei dessen Gestaltung er gern auf
die Einfälle und Kreativität seiner Frau Margot, einer langjährigen
Mitstreiterin im Böhmfelder Theaterteam, zurückgreift, bewerkstelligt
Siegwardt alles im Alleingang. Zum Glück hat Margot Siegwardt viel
Verständnis für das außergewöhnliche und zeitaufwendige Hobby ihres Mannes
und teilt sein Faible für ausgefallene Weihnachtskrippen. Der erwachsene
Sohn Andreas bewundert zwar die Fähigkeiten seines Vaters, beschränkt sein
Betätigungsfeld momentan aber lieber auf Beruf, Erfolg im Schützenverein
und Beschäftigung mit dem Computer. "I samml im Woid und in der Flua stundnlang passende Stoaner und Pflanzn
zum Trockna und suach verschiednfarbige Erdn und Sand. De sieb i so lang,
bis i feine, mittelfeine und grobe Heiferl hob. De brauch i dann für
draußn", lässt der nimmermüde Krippenenthusiast wissen. Im Sommer macht er
vom Rasenschnitt feinfasriges Heu, spürt schattige Plätze auf der Suche
nach urigen Moosen auf, inspiziert Blumensträuße nach Brauchbarem und hält
bei Spaziergängen und auf seinen ausgedehnten Radltouren ("800 bis 1.000
Kilometer sans jeds Joar, manchmoi sogar no vui mehra.") in Gartengehölzen
und Feldhecken gezielt Ausschau nach kleinen bizarren Zweigen und
Astgabeln, um sie später als malerische Bäumchen und Klettergewächse vors
Krippenhaus zu pflanzen. Er drechselt Holzschüsseln und -becher, schnitzt
handliche Werkzeugstiele und Hölzer aller Art für Dachstühle, Treppen,
Geländer und Zaunlatten, schneidet mit dem Messer filigrane Dachschindeln
aus und auch feuergerechte Scheite für den Holzstoß. Für Henkeleimer,
Kannen, Beschläge, Hämmer sowie für blitzblanke Sensen und Sicheln formt
er Blechstückchen. Nur die Figuren, die Menschen und Tiere, die die
Krippengehöfte bevölkern, kauft Siegwardt fertig ein, achtet dabei aber
auf besondere Individualität. Für die "verputztn Stoanawänd und di Kamin" braucht der äußerst
einfallsreiche Autodidakt Pressspanplatten, Sägespäne, weiße Farbe,
winzige Mauersteinchen und neben einer ruhigen Hand ganz viel Geduld, wie
überhaupt für alle Arbeiten, die mit dem Bau der einzigartigen
Krippenensembles zusammenhängen. Auch zum Elektrofachmann hat es Siegwardt
gebracht, seitdem er das Krippenbauen zur Lieblingsfreizeitbeschäftigung
erkoren hat, denn im Krippenhaus, auch im einfachsten und kleinsten, haben
alle Räume passende Beleuchtungskörper. Sämtliche Lichter und
Flackerkerzen sind elektrisch. Dazu ist ein extra eingebauter Kasten in
Miniaturausführung mit Kabeln, Drähten, Lüsterklemmen, Verteilungen und
Einbaubuchsen da. Als spezielle Werkzeuge verwendet der Hobby-Holzwerker, den bei seiner
Arbeit stets flotte Radiomusik inspiriert und beflügelt, unter anderem
eine japanische Feinsäge, eine Kappsäge und eine elektrische Laubsäge
sowie eine Ständerbohrmaschine und einen rasend schnellen Minibohrer,
ähnlich dem des Zahnarztes. Valentin Siegwardts Reich als Krippenbauer ist
eine 30 Quadratmeter große heizbare Werkstatt im Keller mit vier
Werkbänken aus ausgedienten Küchenarbeitsplatten. "Manchmoi sigts do drunt
aus, ois ob a Bombm eigschlong hätt, wenn i mittn drin bin beim Baun",
schmunzelt der wendige Krippenkünstler mit den wachen, flinken Augen, der
für eine Krippe, je nach Größe, vom ersten Bleistiftstrich bis zum
Ausstaffieren mit Figuren und Beiwerk rund 70 bis 140 Stunden braucht.
Allein bis zu 300 dünne, handgefertigte Holzschindeln heißt es geschickt
aufs Dach zu platzieren und festzukleben, "damit's net neirengt". Ganz zu
schweigen von der heiklen Aufgabe, die unzähligen Hölzer und Hölzchen mit
Hilfe von vielen kleinen und großen Schraubzwingen zu millimetergenauen
Konstruktionen aneinander zu fügen, damit sie den hohen Ansprüchen ihres
Erbauers genügen. Der Böhmfelder Holzkrippenbauer fertigt seine Kunstwerke nur auf
Bestellung an, da er seit 1998 pro Jahr ehrenamtlich auch noch 300 Stunden
aufwendet, um die Nachwuchs des heimischen Schützenvereins "Eichenlaub" zu
trainieren. Übrigens mit großem Erfolg: Einzelne talentierte Jungschützen
haben es schon bis zur Deutschen Meisterschaft geschafft. Fürs nächste
Jahr ist Siegwardt krippenbaumäßig allerdings schon voll ausgebucht. "A
weng a Freizeit brauch i scho a no", meint er treuherzig, lässt aber
gleichzeitig durchblicken, dass ihm neuerdings eine Krippe "mit am Bogn,
mit runde Fenster oder a innen drin mit am offna Kamin" vorschwebt.
Heranwagen möchte er sich der ideenreiche Krippenmacher aber vor allem
auch bald an den Bau einer orientalischen Krippe und "schaun, ob’s de Leit
a gfoit". (sdr - Anneliese Siebendritt)
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